Zwar hatte die jetzige Groko eine „gründliche Reform des Gemeinnützigkeitsrechts“ in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, doch basierte diese Vereinbarung auf dem vom wissenschaftlichen Beirat des Finanzministeriums(!) bereits 2006 erstellten Gutachten „Die abgabenrechtliche Privilegierung gemeinnütziger Zwecke auf dem Prüfstand “. Dieses Gutachten forderte im Ergebnis eine weitaus strengere Auslegung dessen, was gemeinnützig sein soll und was nicht, mit dem Ziel, Vereinen und zivilrechtlichen Organisationen deutlich seltener die Gemeinnützigkeit zuzuerkennen und damit steuerliche Erleichterungen zu gewähren, mit gleichzeitiger Berechnung, um wieviel höher die Steuereinnahmen dann ausfallen würden. Der Bundesfinanzhof folgte mit seinem Urtail gegen Attac konkret dieser Linie der Groko, für die höhere Steuereinahmen offenbar Vorrang vor dem Nutzen für die Allgemeinheit haben.
Tatsächlich ist die Abgabenordung durchaus reform- bzw. präzisierungsbedürftig, weil sie derzeitig bezüglich dessen, was „politische Bildung“ (gemeinnützig) oder „Beeinflussung der politischen Meinung“ (nicht gemeinnützig) sein soll, beliebig interpretierbar ist. Nur fragt man sich, wie Attac die Beeinflussung der politischen Meinung unterstellt und die Gemeinnützigkeit aberkannt werden kann und auch Campact, DUH, BUND und Greenpeace auf den Prüfstand kommen sollen, während die die Rüstungslobby vertretende „Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik“, der von Arbeitgeberverbänden getragene „Förderverein der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ und die „Stiftung Familienunternehmen“, die gegen die Erbschaftssteuer für Unternehmen kämpft, nicht im Fokus stehen, ihnen also offenbar zugestanden wird, bildungspolitisch tätig zu sein. Darum ist der Appell der Organisation „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/appell/ nur allzu berechtigt, den der Verband daher unterstützt.
Eine kritische Zivilgesellschaft ist ein wesentliches Merkmal einer funktionierenden Demokratie, und politische Vielfalt ist dabei ein wesentlicher Stützpfeiler. Wenn die Regierenden sich das Recht herausnehmen, die Zivilgesellschaft in ihrer Funktion zu schwächen und damit der Ungleichheit in unserem politischen System weiter Vorschub zu leisten, kommt das nahezu einem Machtmissbrauch gleich.
Sofern politisch informierende zivilrechtliche Organisationen jetzt um die Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit bangen müssen, verschiebt sich das Kräfteverhältnis zwischen finanzstarken Lobby-Interessen und denen von NGOs noch weiter, als es bereits der Fall ist. Wenn politische Willensbildung kein gemeinnütziges, also kein den Interessen der Gesellschaft dienendes Unterfangen ist, müsste im Übrigen auch den Parteien die Gemeinnützigkeit aberkannt werden, denn sie nehmen eine diesbezügliche Monopolstellung ein.